Beratungsbedarfe von Stieffamilien in Bayern
Familienformen sind heute deutlich vielfältiger geworden (Nave-Herz 2013; Peuckert 2012). Einen großen Anteil daran haben gestiegene Trennungs- und Scheidungsraten, die unverheiratete noch häufiger als verheiratete Elternpaare betrifft. Phasen des Alleinerziehens, die typischerweise Mütter treffen, münden vielfach in eine neue Partnerschaft. Gründen die Partner einen gemeinsamen Haushalt, so entsteht eine Stieffamilie. Primäre Stieffamilien, in denen die neuen Partner mit den Kindern aus der früheren Beziehung zusammenleben, machen heute rund 10% der Haushalte mit minderjährigen Kindern aus (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2013; Steinbach 2008). Gleichwohl gibt die Forschung in Deutschland kaum Auskunft über deren Besonderheiten.
Fragestellung und Zielsetzung
Stieffamilien sind kein neues Phänomen, haben sich jedoch in den vergangenen fünfzig Jahren merklich gewandelt. Anders als in der Vergangenheit, wo Stieffamilien vor allem nach dem Tod eines Partners entstanden, bleibt der andere Elternteil heute nach einer Trennung weit überwiegend verfügbar und ist dem Kind durch Umgangskontakte oder Mitbetreuung verbunden. Damit sind Stieffamilien zunehmend zu einer „elternreichen“ Familienform geworden. Auch dies charakterisiert ihre Vielfalt, denn je nachdem, welcher Partner der soziale Elternteil ist, entstehen Stiefvater- (leibliche Mutter mit neuem Partner) oder Stiefmutterfamilien (leiblicher Vater mit neuer Partnerin). Deutlich komplexer gestaltet sich die Situation, wenn beide Partner Kinder haben (zusammengesetzte Stieffamilie), die dauerhaft (primär) oder nur am Wochenende (sekundär) in der neuen Familienkonstellation leben oder ein gemeinsames Kind beider Partner in die Stieffamilie geboren wurde (komplexe Stieffamilie). Diese komplexen Familiensituationen, die mehrere Kindschaftsverhältnisse in einer Familie aufweisen, sind allerdings kaum Gegenstand der Forschung, auch, weil vielfach keine geeigneten Daten zur Verfügung stehen. Umso größer ist der Bedarf nach tragfähigen Ergebnissen.
Bei der Gestaltung des Familienalltags stehen Stieffamilien vor besonderen Herausforderungen. Viele Aspekte des Familienlebens wie die Organisation des Familienalltags, die Zusammenarbeit in der Erziehung und die Einbeziehung des getrennt lebenden leiblichen Elternteils, aber auch finanzielle Aspekte müssen bei der Gründung eines gemeinsamen Haushalts neu verhandelt werden. Zudem sind die Anforderungen und Erwartungen an die soziale Elternschaft des neuen Partners/der neuen Partnerin nicht hinreichend definiert, was durchaus zu Unsicherheiten führen kann (für einen Überblick siehe Entleitner-Phleps/Rost 2017; Walper u. a. 2016). Damit unterliegt insbesondere die Rolle als Stiefelternteil der individuellen Ausgestaltung im Zusammenspiel mit dem Partner bzw. der Partnerin und dem Kind/den Kindern.
Familien- und Erziehungsberatungsstellen können bei diesen Herausforderungen beratend unterstützend tätig werden. Allerdings ist bislang kaum bekannt,
- ob Stieffamilien und insbesondere komplexe Stieffamilien einen erhöhten Beratungsbedarf haben,
- welche Beratungsanliegen Stieffamilien angeben bzw. welche Themen bei Beratungen von Stieffamilien im Fokus stehen,
- welche Beratungskontexte Stieffamilien vor allem nutzen (z. B. Erziehungsberatung, Ehe- und Familienberatung oder Trennungs- und Scheidungsberatung),
- ob im Kontext einer neuen Partnerschaft des getrennt lebenden Elternteils (sekundäre Stieffamilie) Beratungen in Anspruch genommen werden,
- inwieweit die Fachkräfte mit den Herausforderungen dieser Familienform vertraut sind und ob sie sich in diesem Kontext mehr Unterstützung durch gezielte Fortbildungen wünschen.
Projektdesign
Mit einem quantitativen Design soll in diesem Projekt näher analysiert werden, vor welchen besonderen Situationen und Herausforderungen Stieffamilien stehen. Dabei werden zum einen die Familien selbst in den Blick genommen und es wird die Situation der Stieffamilien mit Hilfe von Sekundärdaten (Deutsches Familienpanel (pairfam), Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten (AID:A)) analysiert. Zum anderen ist eine Online-Befragung mit Fachkräften aus Familien- und Erziehungsberatungsstellen geplant, um Erkenntnisse über die Beratungsbedarfe von Stieffamilien gewinnen zu können.
Literatur
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2013): Stief- und Patchworkfamilien in Deutschland. In: Monitor Familienforschung, 31. Jg.
Entleitner-Phleps, Christine/Rost, Harald (2017): Stieffamilien. In: Bergold, Pia/Buschner, Andrea/Mayer-Lewis, Birgit/Mühling, Tanja (Hrsg.): Familien mit multipler Elternschaft. Entstehungszusammenhänge, Herausforderungen und Potenziale. Leverkusen-Opladen, S. 29-56.
Nave-Herz, Rosemarie (2013): Ehe- und Familiensoziologie. Weinheim und Basel.
Peuckert, Rüdiger (2012): Familienformen im sozialen Wandel. 8. Auflage. Wiesbaden, Germany.
Steinbach, Anja (2008): Stieffamilien in Deutschland. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 33. Jg., H. 2, S. 153-180.
Walper, Sabine/Entleitner-Phleps, Christine/Wendt, Eva-Verena (2016): Brauchen Kinder immer (nur) zwei Eltern? Forschungsergebnisse in Psychologie und Soziologie und ihre Bedeutung für das Kindschaftsrecht. In: Recht der Jugend und des Bildungswesens, 64. Jg., H. 2, S. 194-210.
Bild: Colourbox