Alleinerziehen - Vielfalt und Dynamik einer Lebensform

Worin unterscheidet sich die Lebenssituation von Alleinerziehenden von der Lebenssituation der Elternfamilie? Eine Ost-West vergleichende Studie.

Gegenstand der Untersuchung

Definition von Alleinerziehenden: Eine erwachsene Person lebt in Haushaltsgemeinschaft mit mindestens einem Kind (bis 28 Jahre). Aus dem Altersabstand zwischen der erwachsenen Person und dem Kind muß ersichtlich werden, daß es sich um zwei Generationen handelt (Altersabstand mindestens 15 Jahre).

Während der Lebensform "Alleinerziehen" bis in die jüngste Vergangenheit hinein in Westdeutschland ein defizitärer Charakter unterstellt wurde, hat sich diese Sichtweise heute weitgehend geändert, wenn auch die Tatsache nicht geleugnet werden kann, daß "Alleinerziehen" als Lebensform und als Lebenssituation im Vergleich zu Elternfamilien von besonderen Deprivationsrisiken (ökonomische Schlechterstellung, besondere psychische und physische Belastungen des alleinerziehenden Elternteils) und kumulativen Effekten von Deprivationen bedroht ist.

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands hat sich für Alleinerziehende in der ehemaligen DDR einiges verändert: neben dem Wegfall spezieller sozialpolitischer Unterstützungsleistungen verschärft sich die Situation u.a. durch die gestiegene Arbeitslosigkeit, eine schlechtere Wohnraumversorgung sowie die veränderte institutionelle Betreuungssituation.

Bisherige Studien zur Lebenssituation von Alleinerziehenden geben zwar eine ausführliche Beschreibung zur statischen Betrachtungsweise dieser Lebensform, vernachlässigen jedoch den Blick auf eine dynamische Perspektive, d.h. sie erlauben keine differenzierten Aussagen darüber, wie sich verschiedene Lebensformen innerhalb eines Lebenslaufs (d.h. "Alleinerziehend" als Lebensphase) gegenseitig ablösen. Des weiteren erfolgt zum Teil eine unzulässige Homogenisierung der Gruppe der Alleinerziehenden, da zum einen nicht auf die Vielfalt der Formen (unterschieden nach den Entstehungszusammenhängen, der Dauer, dem Alter und der Anzahl der Kinder sowie dem Alter der Mutter) eingegangen wird und zum anderen auch nicht differenziert erfaßt wird, ob Alleinerziehende auch tatsächlich alleine erziehen - zu denken ist hier z.B. an nichteheliche Lebensgemeinschaften. Vernachlässigt wird in den bisherigen Untersuchungen ein weiterer zentraler Aspekt: die Bedeutung des nicht sorgeberechtigten Elternteils und die Bedeutung sozialer Netzwerke für den alleinerziehenden Elternteil.

Für unsere Ost-West vergleichende Studie leiten wir daraus folgende Hauptzielsetzungen ab:

  • präzise Aussagen über die Verbreitung und regionale Verteilung von Alleinerziehenden, differenziert u.a. nach Geschlecht, Zahl und Alter der Kinder sowie der Wohnsituation auch im Vergleich zu Elternfamilien;
  • Deskription der Vielfalt der Lebenssituationen Alleinerziehender auf der Basis repräsentativer Daten;
  • detaillierte Beschreibung und Analyse der Lebenssituation und Lebensphase "Alleinerziehend" (Entstehungsgeschichte, Lebenspläne, Erziehungsziele, Alltagsgestaltung und Alltagsprobleme ausgewählter Gruppen);
  • Erfassung der subjektiven Bewertung und Wahrnehmung der eigenen Lebenssituation und der Bedarfe Alleinerziehender an besonderen Unterstützungsleistungen sowie Evaluation bestehender Hilfsangebote.

Darüber hinaus sind durch die Untersuchung Hinweise zu weiteren aktuellen sozialpolitisch relevanten Themen zu erwarten: Zum einen im Hinblick auf die derzeit diskutierte Neuregelung des Sorgerechts (Bewertung der geplanten Maßnahme durch Alleinerziehende) und zum anderen im Hinblick auf das Unterhaltsvorschußgesetz (Ableiten von Merkmalsgruppen, die dazu beitragen, ob ein unterhaltspflichtiger Elternteil seinen Verpflichtungen nachkommt).

Die Bearbeitung der Fragestellungen soll stufenweise über fünf sich ergänzende methodische Verfahren erfolgen, wobei jedes Verfahren mit einer spezifischen Zielsetzung eingesetzt wird:

  • Anfertigen von Expertisen:
    Literaturexpertise: Ein Überblick über die behandelten Aspekte zur Alleinerziehendenthematik in neueren Arbeiten (ab 1980) soll einer der Ausgangspunkte unserer Studie sein. Basierend auf diesen Ergebnissen sollen neue Fragestellungen abgeleitet werden, denen in den Primärerhebungen nachgegangen wird.
  • Expertise über Länder- und Kommunalberichte:
    Vorliegende Berichte der Bundesländer und einiger Kommunen sollen thematisch fokussiert zusammen aufbereitet werden. Ziel ist es, regionalspezifische Aspekte der Lebenslage von Alleinerziehenden herauszuarbeiten und bezüglich durchgeführter sozialpolitischer Maßnahmen und offenstehender Regelungsbedarfe Aussagen treffen zu können.
  • Sekundäranalysen von Datensätzen:
    Durch die selektive Auswertung der Daten des Mikrozensus, des sozioökonomischen Panels, des DJI-Familiensurveys und der GFM-GETAS-Mehrthemengroßumfrage wird es möglich, repräsentative Aussagen über Anzahl, soziodemographische Kriterien, Entwicklung, sozioökonomische Situation, Partnerschaftverläufe, etc. von Alleinerziehenden zu machen.
  • Telefonbefragung:
    Indem ca. 500 nach repräsentativen Kriterien ausgewählte Alleinerziehende telefonisch befragt werden, sollen die bei der Sekundäranalyse festgestellten Forschungslücken weitgehend inhaltlich geschlossen werden (z.B. Fragen nach der Partnerschaftsbiographie und den Unterstützungsleistungen durch das soziale Netz und institutionelle Angebote).
  • Qualitative Interviews mit Alleinerziehenden:
    Aus der Telefonbefragung werden gezielt 130 Alleinerziehende ausgewählt. Gedacht ist an eine regional geklumpte Stichprobe, die - neben dem Vergleich Ost/West - einen regionalen Vergleich zwischen Stadt/Land sowie Nord/Süd ermöglicht. Inhaltliche Schwerpunkte der Befragung sind neben den Einstellungen und Wertmustern zur Lebensform das Bewältigungsverhalten im Alltag und die konkreten Probleme und Bedarfslagen der Alleinerziehenden.
  • Qualitative Interviews mit ExpertInnen:
    Eine Befragung von 10 ExpertInnen im Bereich der Betreuungsangebote für Alleinerziehende soll über die tatsächlich genutzten Hilfsangebote hinaus einen breiteren Blick auf Angebote, Versorgungsdefizite und Bedürfnisse der Gruppe der Alleinerziehenden eröffnen; Lösungsmöglichkeiten und polititsche Handlungsnotwendigkeiten sollen diskutiert werden. nach oben
Teaser Mutter-kind
Projektinfo

Verbundprojekt zwischen dem Staatsinstitut für Familienforschung (ifb), dem Institut Frau und Gesellschaft gGmbH (ifg) und der Universität Mainz, gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Laufzeit: 1.12.1996 bis 30.11.1999

Projektleitung: Professor Dr. Norbert F. Schneider, Dr. Dorothea Krüger (ifg)

Projektbearbeitung: Dr. Ruth Limmer (ifb), Dipl.-Päd. Andrea Schröther, Dipl.-Sozpäd. Susanne Groht (ifg)

Veröffentlichungen

Ruth Limmer: Die Lebenssituation Alleinerziehender und sozialpolitische Maßnahmen für Alleinerziehende im Ländervergleich. Analyse von Berichten der öffentlichen Hand auf Ebene der Bundesländer sowie ausgewählter Kommunen. Bamberg: Staatsinstitut für Familienforschung, ifb-Materialien 1-1998.

Dorothea Krüger/Christiane Micus: Diskriminiert? Privilegiert? Die heterogene Lebenssituation Alleinerziehender im Spiegel neuer Forschungsergebnisse und aktueller Daten. Bamberg: Staatsinstitut für Familienforschung, ifb-Materialien 1-1999.

Norbert F. Schneider/ Dorothea Krüger/Vera Lasch/Ruth Limmer/Heike Matthias-Bleck: Alleinerziehen - Vielfalt und Dynamik einer Lebensform. Bamberg: Staatsinstitut für Familienforschung, ifb-Materialien 1-2000.