Kinderreiche Familien

Bekannt sind von diesem Familientyp seine sinkende Bedeutung gemessen an seinem Anteil an allen Familienformen, ökonomischen Probleme sowie Merkmale der Soziodemographie. Wenig wissen wir über konkrete Lebensverhältnisse und praktisch nichts über die Hintergründe dieser Familien oder auch die Perspektiven, die sie ihren Kindern bieten können. Eine Untersuchung des Phänomens hat daher in gewissem Maße explorativen Charakter, da bislang keine Instrumente existieren, die diese Dimension abbilden.

Eine in der aktuellen Diskussion um die Familienentwicklung wenig beachtete Gruppe bilden Familien mit mehr als zwei Kindern. Doch gerade diese Familien, so steht zu vermuten, sind mit verschiedenen Aspekten sozialer Benachteiligung bis hin zur gesellschaftlichen Ausgrenzung konfrontiert - treten doch bei ihnen die "Restriktionen" (Kaufmann) familialer Lebensformen (wie z. B. Mobilitätshemmungen, ökonomische Belastung) verstärkt auf. Auch können sie ihre Bedürfnisse (z. B. in den Bereichen Wohnen, Wohnumfeld, Urlaub) schwerer decken als z.B. kleine Familien. Zudem sind diese Familien mit einem eher negativem Image versehen – man denke hier z. B. an Probleme mit Vermietern. War man früher "mit vieren" kinderreich, so gilt dies heute wohl bereits ab einer Kinderzahl von drei an (so z. B. Schicha 1996).

Gegenstand der Untersuchung

Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bestimmen sich durch Werte, Ideale und Leitbilder auf der ideologischen Ebene und strukturelle und soziale Lebensbedingungen auf der alltagspraktischen Ebene. Aus diesem allgemeinen – tendenziell universalistischen – Kontext heraus bilden sich individuelle Repräsentation. Auf der Ebene der Individuen oder Familien werden also entsprechende Einstellungen, Orientierungen Wünsche, Ziele ausgebildet, welche wiederum den wahrgenommenen Wertschätzungen, Chancen, Hilfen, Leistungen etc. korrespondieren.

Ökonomischer und sozialer Status scheinen den vorliegenden Erkenntnissen zufolge zwei sehr wesentliche Dimensionen zu sein, die darüber entscheiden, ob sich große Familien akzeptiert oder ausgegrenzt fühlen. Allerdings sind in diesem Kontext noch viele weitere Einflussfaktoren denkbar, die bislang kaum erforscht wurden.

Die allgemeine gesellschaftliche Wertschätzung der Familien und die Idealvorstellung hinsichtlich der Kinderzahl stellen hier einen wesentlichen kulturell bestimmten Rahmen dar. Für die Bundesrepublik lässt sich sagen, dass zwei Kinder als die ideale Zahl gelten, so dass – wie gesagt – ab dreien der "Kinderreichtum" beginnt. Diese Vorstellung mag in anderen europäischen Nationen nicht so ausgeprägt sein. Auch die Einstellungen Familien gegenüber und die Erwartungen an Eltern- und Kinderverhalten (z.B. Berufstätigkeit, institutionelle Erziehung, Selbstverwirklichungsmöglichkeit etc.) mögen durchaus unterschiedlich sein. Diese Rahmenbedingungen sind daher bei der Erforschung sozialer Ausgrenzung zuvorderst zu berücksichtigen. Das gleiche gilt für institutionelle Entlastungen, familienpolitische Stützung etc. großer Familien. Auch diese strukturellen Rahmenbedingungen sind zu erfassen und vergleichend zu analysieren.

Methode

Das Forschungsvorhaben basiert zum einen auf Analysen relevanter Informationen aus den vorhandenen Datensätzen des DJI-Familiensurvey und des Bamberger-Ehepaar-Panels. Ergänzt wird dieses Vorhaben durch eine qualitative Befragung von Eltern mit drei oder mehr Kindern. Einen weiteren wesentlichen Beitrag steuert die Familienwissenschaftliche Forschungsstelle Baden-Württemberg bei, welche Auswertungen des Mikrozensus übernimmt. Durch die Kooperation der beiden Institute ist es möglich, das Thema auf breiter Basis zu bearbeiten. Eine Veröffentlichung ist zur Zeit in Vorbereitung.

Erste Ergebnisse

Welche Familien "leisten" sich heute noch mehr als zwei Kinder? Ersten Erkenntnissen zu Folge handelt es sich dabei eher um Eltern mit kirchlicher Orientierung, die in kleineren Gemeinden leben. Diese Mütter und Väter haben seltener Hochschulabschlüsse und sie haben jünger geheiratet als andere Eltern. Mütter mit mehreren Kindern verzichten häufiger ganz auf eine Berufstätigkeit. Die Ehen sind stabiler als bei kleinen Familien und die Erwartungen an die Treue der Partners höher, aber auch die Zufriedenheit mit der Partnerschaft ist größer als bei kleineren Familien.

Für die meisten Eltern entspricht die Kinderzahl ihren Vorstellungen, doch immerhin 29% geben heute zu, dass ihnen eine kleinere Familie eigentlich lieber gewesen wäre.Kinderreichtum führt einerseits zu starken ökonomischen Belastungen. So treten vor allem bei Familien, in denen alle Kinder noch minderjährig sind, teilweise Engpässe auf. Große Familien sind daher eher auf staatliche Leistungen wie Sozialhilfe oder Wohngeld angewiesen als kleinere. Andererseits leben nicht wenige große Familien in zufriedenstellenden Verhältnissen, dies gilt besonders für die Befragten des Bamberger-Ehepaar-Panels: Die Haushaltseinkommen bewegen sich im oberen Bereich und ihnen steht relativ häufig (zu 79%) Wohneigentum zur Verfügung. Dabei werden diese relativ hohen Einkommen zum weitaus größten Teil von den Vätern erzielt. Mütter erwirtschaften in kinderreichen Familien "nur" rund ein Viertel des Familieneinkommens, da sie sich mehr für Kindererziehung und Haushalt engagieren.

Berücksichtigt man bei der Einkommensberechnung den Bedarf, also die Zahl der Familienmitglieder, ergeben sich geringere Pro-Kopf-Einkommen für kinderreiche Familien im Vergleich mit kleineren. Der Abstand beträgt 100 bis 150 € im Hinblick auf Zwei-Kind-Familien und wird noch deutlich größer bezüglich der Ein-Kind-Familien. Dabei hat sich die ökonomische Situation der großen Familien meist sehr positiv entwickelt. Sowohl die Paare des Bamberger-Ehepaar-Panels wie auch die Befragten in der qualitativen Studie konnten ihre finanziellen Mittel mit wachsender Kinderzahl steigern und verzeichnen deutliche Zuwächse im Verlauf der Familienbiografie.nach oben

Teaser Bemalte Kinderhaende
Projektinfo

Eigenprojekt; gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.

Laufzeit: 8/2002 bis 9/2004

Projektleitung und -bearbeitung: Dr. Kurt Bierschock, Dr. Marina Rupp