Familienformen und Familienleben nach Trennung und Scheidung
Obwohl Stieffamilien eine wachsende und sozialpolitisch relevante Gruppe darstellen, die auch hinsichtlich des Familienrechts neuen Regelungsbedarf nach sich zieht (z. B. in der aktuellen Gesetzgebungsdebatte über die Gewährung von Umgang für biologische, nicht-rechtliche Väter), ist diese Lebens- und Familienform in Deutschland immer noch wenig erforscht. Anhand von drei Schwerpunkten sollen bestehende Forschungslücken aufgearbeitet werden.
Gegenstand der Untersuchung
In den letzten fünf Jahrzehnten lässt sich in Deutschland eine Pluralisierung von familialen Lebensformen mit einer Zunahme des Anteils von Alleinerziehenden, nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern und anderen nichtkonventionellen Lebensformen (zum Beispiel Stief- und Patchwork-Familien, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit Kindern) beobachten.
Seit vielen Jahren kann bei der zusammengefassten Scheidungsziffer eine relativ große Instabilität von Ehen in Deutschland beobachtet werden. Die Anzahl der Ehescheidungen ist in Deutschland von 1960 bis 2004 stark angestiegen und verharrt seitdem auf hohem Niveau. Parallel zur Entwicklung der Scheidungen ist auch die Zahl der von Ehescheidung betroffenen Kinder gestiegen. Etwa bei der Hälfte aller Scheidungen sind gemeinsame minderjährige Kinder betroffen. Ihre Zahl hat sich seit 1960 mehr als verdreifacht, im Jahr 2013 waren 136.000 minderjährige Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Neben der zunehmenden Instabilität von Ehen gibt es auch Hinweise darauf, dass die Beziehungen unverheirateter Paare häufiger gelöst werden. Durch die steigende Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften mit Kindern sind im Trennungsfall – ähnlich wie bei Scheidungen – auch immer häufiger Kinder betroffen. Mit der Entwicklung bei den Scheidungen bzw. Trennungen steigt auch die Zahl der Wiederverheiratungen: Während im Jahr 1980 in Deutschland noch bei 73,7 % aller Eheschließungen beide Ehepartner ledig waren, sank diese Quote im Jahre 2012 auf 65,1 %. In Bayern ging diese Quote im Vergleichszeitraum von 79,5 % auf 68 % zurück.
Es kann anhand dieser Daten und dem gleichzeitig wachsenden Anteil an Wiederverheiratungen davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Stieffamilien (Fortsetzungsfamilien) zunimmt. In der amtlichen Statistik fehlen exakte Daten über die Verbreitung von Stieffamilien, anhand von Studien ist davon auszugehen, dass derzeit in ca. jeder zehnten Familie Stiefkinder leben. Neben den Alleinerziehenden (ca. 18 % aller Familien) bilden Stieffamilien somit die zweithäufigste familiale Lebensform nach einer Trennung bzw. Scheidung.
Obwohl Stieffamilien eine wachsende und sozialpolitisch relevante Gruppe darstellen, die auch hinsichtlich des Familienrechts neuen Regelungsbedarf nach sich zieht (zum Beispiel in der aktuellen Gesetzgebungsdebatte über die Gewährung von Umgang für biologische Väter, die jedoch nicht die rechtliche Vaterschaft haben), ist diese Lebens- und Familienform in Deutschland immer noch wenig erforscht. Dies gilt insbesondere für den Entstehungskontext und das komplexe Beziehungsgefüge, beispielsweise wenn leibliche Kinder in der neuen Partnerschaft, in der bereits Stiefkinder leben, geboren werden und Patchwork-Familien entstehen.
Aus den bestehenden Forschungslücken ergeben sich drei Fragestellungen
für das Projekt:
- Beschreibung von Verlaufsmustern verschiedener Familienformen nach einer Scheidung oder Trennung.
- Erfassung der Lebenssituation von Eltern nach einer Scheidung oder Trennung.
- Analyse der neuen, erweiterten Familienformen und des Familienlebens.
Datengrundlage
Diese Fragestellungen haben hohe Anforderungen an die Daten zur Folge: Sie müssen im Längsschnitt vorliegen, damit Entwicklungen, die sich nach einer Trennung oder Scheidung ergeben, beobachtet werden können. Darüber hinaus müssen ausreichend Familien in den Daten enthalten sein; denn nur so liegen auch genügend Trennungen bzw. Scheidungen vor, um die Prozesse, die auf
diesen Übergang im Familienleben folgen, analysieren zu können. Für Analysen von neuen Partnerschaften nach einer Trennung bzw. Scheidung müssen die Daten zudem Informationen über weitere Beziehungen und Charakteristika der neuen Partnerinnen bzw. Partner enthalten. Da die auf eine Trennung bzw. Scheidung folgenden Veränderungen der Familienform betrachtet werden sollen, ist es zudem notwendig, dass ausreichend detaillierte Informationen über die Kinder vorliegen. Dazu gehören neben dem Alter etwa auch der Aufenthaltsort oder die Beziehungen zu biologischen und sozialen Elternteilen.
Für die Analyse des Familienlebens nach einer Trennung oder Scheidung werden Daten der ersten fünf Wellen des Beziehungs- und Familienpanels pairfam („Panel Analysis of Intimate Relationships and Family Dynamics“) sowie der ersten vier Wellen der Zusatzerhebung für Ostdeutschland, DemoDiff, verwendet. Das Ziel von pairfam ist es, Daten für Längsschnittanalysen über Familien- und Beziehungsprozesse zur Verfügung zu stellen. Hierfür werden jährlich Personen befragt, die in den Jahren 1991-93 (nur pairfam), 1981-83 oder 1971-73 geboren wurden. Die Ergebnisse auf Basis der pairfam- und DemoDiff-Daten sind repräsentativ für die angegebenen Geburtskohorten.
Darüber hinaus werden die vier bisher verfügbaren Wellen der Erhebung „Familien in Deutschland“ (FiD) für Analysen verwendet. Bei dieser Studie handelt es sich um ein Teilprojekt der Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland. FiD ist als Ergänzungsstichprobe zum SOEP zu sehen, die zusätzliche Beobachtungen für familienpolitisch und wissenschaftlich relevante Teilpopulationen liefert. Im Speziellen handelt es sich bei den Familientypen in FiD um Niedrigeinkommenshaushalte mit Kindern, Alleinerziehendenhaushalte, Haushalte mit mindestens drei minderjährigen Kindern sowie Haushalte, in denen Kleinkinder der Geburtskohorten 2007 bis 2010 leben. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung beziehen sich demnach auf alle Haushalte und deren Haushaltsmitglieder in Deutschland, die zum Zeitpunkt der Stichprobenziehung in einer der oben genannten Familienkonstellation gelebt haben.
Ausgewählte Ergebnisse
Die Analysen der pairfam- und DemoDiff-Daten zeigen, dass immer mehr Befragungspersonen eine neue Partnerschaft eingehen, je mehr Zeit seit der beobachteten Beziehungsauflösung mit der Partnerin bzw. dem Partner aus der ersten Befragung vergangen ist. Die Methode der Survivalanalyse (Kaplan-Meier-Schätzung) ermöglicht es, für jeden Monat nach der Trennung bzw. Scheidung darzustellen, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Befragungsperson eine neue Partnerschaft eingeht. Die Survivalfunktion für alle Trennungs- bzw. Scheidungsfälle mit validen Informationen aus den pairfam- und DemoDiff-Daten ist in der Abbildung 1 dargestellt.
Abbildung 1: Survivalfunktion und 95 %-Konfidenzintervall für den Übergang in eine neue Partnerschaft
Quelle: pairfam Release 5.0; ungewichtete Analysen; eigene Berechnungen, n=258
Die Wahrscheinlichkeit, nach einer Trennung bzw. Scheidung Single zu bleiben, nimmt mit zunehmender Zeitdauer nach dem familialen Ereignis ab. Der Verlauf der Kurve zeigt, dass diese Wahrscheinlichkeit jedoch nicht gleichmäßig abnimmt. Etwa ein Jahr nach der Trennung bzw. Scheidung beträgt die Wahrscheinlichkeit, eine neue Partnerschaft eingegangen zu sein, etwa 40 %, nach zwei Jahren sind es etwa 55 %, nach drei Jahren 65 % und nach vier Jahren 73 %.
Die befragten Frauen und Männer scheinen in den ersten zwei Jahren nach einer Trennung bzw. Scheidung etwa gleich schnell neue Partnerschaften einzugehen (vgl. die sich überlappenden Konfidenzintervalle in Abbildung 2). Nach zwei Jahren jedoch nimmt die Überlebenswahrscheinlichkeit im Zustand Single für Männer schneller ab als für Frauen.
Beim Vergleich der beiden verwendeten Datensätze (pairfam/DemoDiff und FiD) werden Gemeinsamkeiten in den Befunden deutlich:
- Der relative Anteil der Personen mit neuer Partnerschaft ist sehr ähnlich in beiden Datensätzen (pairfam/DemoDiff: 48 %; FiD: 43 %).
- Der Rückgang der Personen ohne neue Partnerschaft ist in beiden Stichproben im ersten Jahr am stärksten; wobei die Überlebenswahrscheinlichkeit in FiD etwas stärker abnimmt. Sie beträgt beispielsweise im ersten Monat in pairfam und DemoDiff 94,6 % und in FiD 88,6 %;
bei 36 Monaten beträgt die Wahrscheinlichkeit, noch keine neue Partnerschaft eingegangen zu sein, 34,7 % in pairfam sowie DemoDiff und 32,5 % in FiD.
Abbildung 2: Survivalfunktion und 95 %-Konfidenzintervall für den Übergang in eine neue Partnerschaft nach Geschlecht der Ankerperson
Quelle: pairfam Release 5.0; ungewichtete Analysen; eigene Berechnungen, n=258
Die Befunde von pairfam inkl. DemoDiff und FiD unterscheiden sich für Männer und Frauen leicht: Im Gegensatz zu den berichteten pairfam- und DemoDiff-Befunden zeigen sich in FiD keine signifikanten Unterschiede zwischen der Überlebenswahrscheinlichkeit von Männern und Frauen.