Familien mit multipler Elternschaft –
Fachtagung am 1. März 2018 in Würzburg

Die Zahl der Familien, in denen die bio-genetische, rechtliche und/oder soziale Elternschaft auf mehr als zwei Personen verteilt ist, steigt, so dass Kinder immer häufiger mehr als zwei Elternteile haben. Während Adoptiv-, Pflege- und Stieffamilien bereits historisch bekannt sind, kommen neuere Formen sogenannter „multipler Elternschaft“ wie Regenbogenfamilien und andere Familien nach Gametenspende erst aufgrund der Liberalisierung der Gesellschaft und den Fortschritten der Reproduktionsmedizin hinzu. Gemeinsam ist allen Familien mit multipler Elternschaft, dass die Abstammung als begründendes Element zwischen einigen oder sogar allen Familienmitgliedern fehlt. Es stellt sich daher die Frage, wie Familie und Elternschaft in den betroffenen Familien definiert, hergestellt und nach außen kenntlich gemacht werden und welche Rolle den verschiedenen Elternteilen jeweils zukommt. Vor diesem Hintergrund veranstaltete das Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb) gemeinsam mit der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) eine Fachtagung für Fachkräfte der Sozialen Arbeit, die Eltern und Kinder in Familienkonstellationen mit multipler Elternschaft beraten, begleiten und unterstützen. Die Veranstaltung fand in Würzburg statt und wurde vom Bayerischen Staatministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) gefördert.

Die Einladung, Familien mit multipler Elternschaft genauer in den Blick zu nehmen und deren Herausforderungen und Chancen zu diskutieren, nahmen 79 Fachkräfte an, die in Bayern in Beratungsstellen, in der Adoptionsvermittlung, beim Pflegekinderdienst, in der Familienbildung und in anderen sozialen Bereichen tätig sind.

Begrüßung und Plenumsvortrag

Multiple Elternschaft UnzMultiple Elternschaft RostNach der Begrüßung der Teilnehmenden durch die Dekanin der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der FHWS, Prof. Dr. Dagmar Unz, durch den stellvertretenden Leiter des ifb, Harald Rost, (beide im Bild links) und die beiden Tagungsleiterinnen Pia Bergold (ifb) und Prof. Dr. Tanja Mühling (FHWS), wurde der Fachtag durch den Plenumsvortrag von  Multiple Elternschaft SchminckeDr. Imke Schmincke (LMU München, Bild rechts) eingeleitet. Dieser thematisierte die „Familie als Gegenstand politischer Auseinandersetzungen“ und ging dabei u.a. auf die familienpolitischen Thesen in den Wahlprogrammen verschiedener Parteien zur Bundestagswahl 2017 ein. Dabei wurde deutlich, dass unter den im aktuellen Bundestag vertretenen Parteien einzig die AfD ein auf die bürgerliche Kernfamilie beschränktes Familienleitbild vertritt. Familienpolitik müsse laut AfD nationale Bevölkerungspolitik sein, die dazu diene die Geburtenrate der deutschstämmigen Bevölkerung zu erhöhen. Dr. Imke Schmincke stellte darüber hinaus rechtspopulistische Mobilisierungen wie die „Demo für Alle“ und „Besorgte Eltern“ dar, die sich gegen Lehrpläne zur Sexualerziehung und die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren und somit auch gegen eine Pluralisierung von Familienformen wenden. Sie versuchen den Familienbegriff auf heterosexuelle Paare zu begrenzen, die mit ihren leiblichen Kindern zusammenleben und eine traditionelle Aufgabenteilung praktizieren. Frau Dr. Schmincke zeigte in Ihrem Vortrag auf, wie rechtspopulistische Bewegungen durch verschiedene Strategien wie bspw. Diffamierungen, Verkürzungen und Falschaussagen Begriffe bestimmen und hierdurch versuchen Deutungshoheit zu gewinnen. So wird z.B. Sexualerziehung als „Frühsexualisierung“ und Gendermainstreaming als „Genderwahnsinn“ bezeichnet. Neben ideologischen und strategischen Gründen ist die Unterstützung, die diese rechts-konservativen Rhetoriken in Teilen der Bevölkerung erfahren, aus Sicht der Referentin insbesondere auf Ängste und Unsicherheiten in Zeiten des sozialen Wandels zurückzuführen. Umso wichtiger sei es, die Vielfalt familialer Lebensformen immer wieder sichtbar zu machen und den Familien-Begriff nicht rechtspopulistischen Diskursen zu überlassen.

Podiumsdiskussion

Multiple Elternschaft PodiumsdiskussionIn einer Podiumsdiskussion tauschten sich (im Bild v.l.) Dr. Petra Thorn (Deutsche Gesellschaft für Kinderwunschberatung – Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland e.V.), Prof. Dr. Jörg Maywald (Deutsche Liga für das Kind), Kay-Uwe Fock (Freunde der Kinder e.V.) und Anja Timmermann (Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Familienrecht der Universität Bonn) aus verschiedenen fachlichen Blickwinkeln über multiple Elternschaft aus und beantworteten vielfältige Fragen der Moderatorin Christiane Poertgen (re) sowie aus dem Publikum. Prof. Jörg Maywald betonte, dass „das Wohl des Kindes letztendlich die Messlatte für Alles“ sein müsse. Es bestand Konsens, dass es wichtig sei für die Identitätsentwicklung des Kindes, dass es über seine Abstammung aufgeklärt wird. Vor diesem Hintergrund äußerte sich Kay-Uwe Fock skeptisch über Babyklappen und anonyme Geburten, da diese Angebote die Kinder ohne Kenntnis ihrer Herkunft hinterließen. Dr. Petra Thorn kritisierte die Ungleichheit, die nach der Inanspruchnahme verschiedener Formen der Gametenspende für die entstandenen Kinder bestünde. Während die Kinder von Samenspendern das Recht haben, Kenntnis über die Identität ihrer genetischen Väter zu erhalten, sei dies den Kindern, die mit Hilfe einer Eizellspende oder einer Leihmutterschaft ins Leben kämen, weiterhin versagt, da diese Verfahren reproduktionsmedizinischer Assistenz in Deutschland verboten sind. Anja Timmermann ging u.a. auf die schwierige rechtliche Situation von Frauenpaaren ein, die mittels Samenspende eine Familie gründen. Die Juristin befürwortete die Empfehlung des Arbeitskreises Abstammungsrecht, dass bei diesen Regenbogenfamilien die rechtliche Zuordnung der Co-Mutter als zweitem Elternteil analog zur Vaterschaftsfeststellung bei heterosexuellen Elternpaaren erfolgen solle.

Vier parallele Workshops am Nachmittag

WS 1: Biografiearbeit in Familien mit multipler Elternschaft

Weil sich die Frage „Wo gehöre ich hin?“ für viele Adoptiv- und Pflegekinder, aber auch für Heranwachsende in anderen Familienkonstellationen mit multipler Elternschaft, als zentral erweist, befasste sich ein Workshop unter der Leitung von Kay-Uwe Fock mit Biografiearbeit. Der Diplom-Psychologe und Supervisor stellte in einem kurzen Impulsreferat dar, mit welchen Methoden es die Biografiearbeit Eltern und Kindern erlaubt, gemeinsam wichtige Lebensereignisse zu entdecken und zu gestalten. Anschließend hatten die teilnehmenden Fachkräfte die Gelegenheit, einzelne Methoden, die die Persönlichkeitsentwicklung und den Zusammenhalt in der Familie unterstützen können, selbst auszuprobieren. Workshop-Zusammenfassung

WS 2: Aspekte und Methoden aus dem Hochkonfliktbereich

Multiple Elternschaft NormannFür einen Workshop zu „Aspekten und Methoden aus dem Hochkonfliktbereich“ konnte die Diplom-Sozialpädagogin, Paar- und Familientherapeutin und Mediatorin Katrin Normann als Referentin gewonnen werden. Die Leiterin des Familien-Notrufs München e.V. benannte Merkmale von Hochkonflikthaftigkeit und zeigte auf, inwieweit das Stresserleben von Klientinnen und Klienten in stark ausgeprägten Konfliktsituationen Einfluss auf den Beratungserfolg nimmt. Vorrangig wurden in dem Workshop Aspekte thematisiert, die in der praktischen Arbeit der Fachkräfte von hoher Relevanz sind: Beispielsweise ist es in der Beratung von Familien im gerichtlichen Kontext wichtig, die Vermischung von beratendem und juristischen System unbedingt zu vermeiden, um ein Vertrauensverhältnis zu den Eltern aufbauen zu können. Ob und in welcher Weise die Kinder, die vom elterlichen Konflikt betroffen sind, einbezogen werden sollen, war ein weiteres Thema. Zudem wurde das wissenschaftlich fundierte Elterntraining „Kinder im Blick“ vorgestellt, das sich an Mütter und Väter in Trennungs- und Scheidungssituationen richtet. Workshop-Zusammenfassung

WS 3: Co-Parenting in der beraterischen Begleitung

Multiple Elternschaft Bergold Buschner

Die am ifb tätigen Wissenschaftlerinnen Pia Bergold und Dr. Andrea Buschner boten einen Workshop zum Thema „Co-Parenting“ an. Im Rahmen des Workshops wurden die individuellen Leitbilder von Familie reflektiert, um für den Umgang mit alternativen Familienformen zu sensibilisieren. Anschließend wurden die verschiedenen Formen von Co-Parenting/Mehrelternschaft sowie die Konsequenzen der Aufteilung von rechtlicher, sozialer und biologischer Elternschaft auf mehr als zwei Personen besprochen. Zum Abschluss erarbeiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Herausforderungen und Chancen des Co-Parentings. Workshop-Zusammenfassung

WS 4: Familienvielfalt nach Reproduktionsmedizin

Im Workshop „Familienvielfalt nach Reproduktionsmedizin“ standen die ethisch, fachlich und rechtlich heiklen Fragestellungen im Fokus, die sich für Beratungsfachkräfte stellen. Vor allem im Zusammenhang mit Behandlungen, die in Deutschland unter Strafe stehen, entstehen Ungewissheiten und Herausforderungen: Inwieweit dürfen beispielsweise Paare beraten werden, die eine Eizellspende im Ausland beabsichtigen? Inwieweit können deutsche Fachkräfte hierzu überhaupt fundiert beraten? Was bedeutet es für ein Kind, nach einer unter Strafe stehenden Behandlung geboren worden zu sein? Dabei profitierten die Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer von der großen wissenschaftlichen Expertise und der umfangreichen Erfahrung der Familientherapeutin Dr. Petra Thorn im Bereich der psychosozialen Kinderwunschberatung. Workshop-Zusammenfassung


Multiple Elternschaft MuehlingAbschließend wagte die Moderatorin Christiane Poertgen mit den Teilnehmenden einen „Blick in die Zukunft“. Nach einem kurzen Impulsreferat, in dem Prof. Dr. Tanja Mühling (im Bild) Schlaglichter des familialen Wandels aufzeigte und mögliche Szenarien für die künftige Entwicklung ansprach, diskutierte das Plenum kritisch über Optionen wie „Social Freezing“ oder die Inanspruchnahme von Leihmutterschaft im Ausland.

Die Fachtagung wurde von den Teilnehmenden in den Feedbackbögen insgesamt sehr positiv bewertet und erfüllte ihre Erwartungen. Die Fachkräfte lobten vor allem die Auswahl der Themen sowie der Referentinnen und Referenten der Fachtagung und die Möglichkeit neues Wissen zu erwerben. Etwas weniger volle Zustimmung gab es lediglich bei den praktischen Anregungen für den Arbeitsalltag. Einstimmiges Lob gab es bei der Rückmeldung zur Organisation des Fachtages.

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Teaser Multiple Elternschaft
Das Buch zum Thema: Familien mit multipler Elternschaft

Familien Mit Multipler Elternschaft TitelBergold, Pia/Buschner, Andrea/Mayer-Lewis, Birgit/Mühling, Tanja (Hrsg.) (2017): Familien mit multipler Elternschaft. Entstehungszusammenhänge, Herausforderungen und Potenziale. Opladen, Berlin & Toronto: Verlag Barbara Budrich.