Bedarfe von Familien nach Familiengründung mit reproduktionsmedizinischer Assistenz
Im Rahmen dieses Projekts soll untersucht werden, welche Bedeutung Eltern der Familiengründung mit reproduktionsmedizinischer Unterstützung im weiteren Familienlauf beimessen und inwiefern die Zeugungsgeschichte des Kindes zu besonderen Herausforderungen für ihre Elternschaft führt.
Hintergrund
Seit der ersten Geburt nach künstlicher Befruchtung im Jahr 1978 (in Deutschland 1982) haben sich die Verfahren der Reproduktionsmedizin weiterentwickelt und inzwischen als medizinisches Angebot bei Fertilitätseinschränkungen etabliert. Neue reproduktionsmedizinische Verfahren, wie z. B. die Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), sind hinzugekommen und immer mehr Familien gründen sich mit Hilfe von Gametenspenden (z. B. Samenspende, Embryonenspende oder die in Deutschland verbotene Eizellspende). Weltweit suchen circa 56 Prozent aller Paare mit unerfülltem Kinderwunsch Hilfe in medizinischen Einrichtungen (Boivin et al. 2007). In Deutschland stehen inzwischen 134 reproduktionsmedizinische Zentren zur Verfügung und jährlich werden dort rund 100.000 reproduktionsmedizinische Behandlungszyklen durchgeführt. Jährlich werden in Deutschland aktuell über 20.000 Kinder nach reproduktionsmedizinischer Assistenz geboren (vgl. DIR 2016). Die Anzahl der Geburten nach Insemination sowie nach Behandlungen im Ausland ist aufgrund einer fehlenden Statistik hierin nicht erfasst und kommt hinzu. Eine Familiengründung im Kontext der Reproduktionsmedizin ist heute also keine Randerscheinung mehr, sondern Thema für viele.
Dabei können bei einer Familiengründung mit reproduktionsmedizinischer Assistenz Besonderheiten im Übergang zur Elternschaft entstehen, die möglicherweise auch in den weiteren Verlauf des Familienlebens hineinwirken. Durch die Beteiligung von Dritten an der Zeugungsgeschichte des Kindes verändern sich die Bedingungen für die Gestaltung von Familie, die Elternrollen und das Aufwachsen von Kindern. Im Kontext von Gametenspenden entstehen neue Konstruktionen von Verwandtschaft, Geschwisterbeziehungen und Elternschaft. Dies erfordert von allen Beteiligten Anpassungsprozesse. Für die Familien bedeutet dies das Finden eines passenden Umgangs für den persönlichen und familialen Lebenslauf. Für die Familienpolitik und alle relevanten Fachkräfte stellt sich die Frage der Gestaltung bedarfsgerechter Rahmenbedingungen und entsprechender Unterstützungs- und Beratungsangebote.
Zielsetzung und methodisches Vorgehen
Aus vorhandenen Studien ist bekannt, dass die Auseinandersetzung mit einem unerfüllten Kinderwunsch sowie die Inanspruchnahme von reproduktionsmedizinischen Verfahren mit großen Belastungen einhergehen können. Bisher liegen für Deutschland jedoch kaum Studien vor, die sich dem weiteren Verlauf von Familien widmen, deren Kinder mit reproduktionsmedizinischer Assistenz gezeugt wurden. Besonders relevant sind in dieser Studie dabei folgende Fragen:
- Wie gestaltet sich der Übergang vom unerfüllten Kinderwunsch zur Elternschaft nach assistierter Reproduktion?
- Wie gehen Eltern im weiteren familialen Lebenslauf mit möglichen Fertilitätskrisen, der Zeugungsgeschichte des Kindes und eventuellen Fragmentierungen in der Elternschaft um? Welche Rolle spielen dabei bereits vorhandene Beratungs- und Unterstützungsangebote?
- Inwiefern gibt es Herausforderungen für die Gestaltung des Familienalltags und welche Vorstellungen über das Familienleben sind von besonderer Bedeutung?
- Zu welchen Themen und Fragen wünschen sich Eltern im Verlauf des Familienlebens nach reproduktionsmedizinischer Assistenz Beratung und Unterstützung? Welche Form der Beratung und Unterstützung wäre für sie am hilfreichsten?
Die Veränderungen von Elternschaft und Familie, die sich im Kontext der reproduktionsmedizinischen Praxis ergeben, erfordern eine Reflexion und möglicherweise auch Umgestaltung der (familien-)rechtlichen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen. Dabei ist es nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig, dass sich die Familienwissenschaften diesem Thema widmen und dabei im Austausch mit den Familien stehen, damit gemeinsam an der Entwicklung eines gelingenden Zukunftsentwurfes gearbeitet werden kann. Einen ersten Schritt hierfür soll diese Studie vorbereiten. Im Rahmen qualitativer Erhebungen werden sowohl die Perspektiven von Familien in unterschiedlichen Lebensformen mit Kindern in verschiedenen Altersklassen erfasst als auch Fachkräfte der Kindertagesbetreuung und der Kinderheilkunde befragt, die als wichtige Ansprechpartner für Familien etabliert sind.
Als Ergebnis der Studie sollen Empfehlungen für die Unterstützung und Beratung von Familien nach reproduktionsmedizinischer Assistenz zusammengefasst werden. nach oben
Photographer: Freestocks.org/Stocksnap.io