Wandel der Geschlechterrollen – Auswertung von ISSP-Daten

Bereits 1998 trat die EU-Richtlinie zur Umsetzung von Gender Mainstreaming in Kraft. Damit hat die Europäische Gemeinschaft die Gleichstellung der Geschlechter EU-weit vertraglich fixiert und sie damit als rechtsverbindlich für Regelungen und Vorschriften innerhalb der EU erklärt. Als konkrete zu erreichende Ziele wurden insbesondere die Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit, eine familienfreundliche Arbeitspolitik und gleiche Chancen der Umsetzung von Lebensentwürfen genannt. Nach wie vor gibt es jedoch in vielen gesellschaftlichen Bereichen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und es ist offen, ob sich die Einstellungen zu den Geschlechterrollen im Sinne einer Gleichstellung gewandelt haben.

Zielsetzung des Projekts ist es, Aussagen über die Veränderung der Einstellungen zu Geschlechterrollen in verschiedenen europäischen Ländern zu treffen. Hat beispielsweise eine Entwicklung von traditionellen Einstellungen und Lebensweisen zu moderneren Lebensentwürfen stattgefunden? Unter traditionell werden dabei festgelegte Rollenmuster, die dem Mann den Part des Ernährers und der Frau die Rolle als Hausfrau und Mutter zuschreiben, verstanden. Modern meint dagegen, dass die Rollenverteilung prinzipiell offen ist und ein Aushandeln zwischen den Partnern erfordert. Hierbei werden prinzipiell Modelle angestrebt, die es beiden Partnern ermöglichen, berufstätig zu sein, wenn sie dies wollen, und der Verantwortung in der Familie gerecht zu werden. Mögliche Fragestellungen sind:

  • Inwieweit ist geschlechtsspezifische Rollenteilung im Bewusstsein der Befragten in verschiedenen europäischen Ländern verankert? Welche Einstellungen äußern sie zu Aspekten dieser Thematik?
  • Inwieweit sind die geäußerten Wunschvorstellungen in Bezug auf geschlechtsspezifische Rollenteilung und die gelebte Realität der Befragten deckungsgleich?
  • Inwieweit haben sich Bewusstsein der Befragten und gelebte Realität seit dem Ende der achtziger Jahre verändert?

Das International Social Survey Programme (ISSP) ist ein internationales Kooperationsprogramm, das jährlich eine gemeinsame Umfrage zu sozialwissenschaftlich relevanten Themen durchführt. Seit seiner Gründung 1984 ist das ISSP auf 48 Mitgliedsländer im Jahr 2013 angewachsen: zu den vier Gründungsmitgliedern – Australien, Deutschland, Großbritannien und den USA – sind in den letzten mehr als 20 Jahren Mitgliedsländer aus allen fünf Kontinenten und aus verschiedensten Kulturkreisen hinzugekommen. Neben der Erhebung sozio-demographischer Variablen und sozialstruktureller Merkmale werden in jedem Jahr verschiedene Themenschwerpunkte in die Befragung aufgenommen. Diese Schwerpunkte werden in bestimmten Abständen wiederholt, so dass auch Trendanalysen möglich sind.

Der inhaltliche Bereich „Family and Changing Gender Roles” wurde 1988, 1994, 2002 und 2012 als Themenschwerpunkt durchgeführt. Somit liegen für vier Messzeitpunkte verschiedene Sets von Variablen und Items (z. B. Einstellungen zur Erwerbstätigkeit von Müttern, zur Rolle des Vaters in der Familie, zur Eheschließung, zu alternativen Familienformen, die faktische Arbeitsteilung im Haushalt etc.) für Analysen der Einstellungen zu verschiedenen Aspekten von Geschlechterrollen vor. Diese Daten sollen in dem Projekt sowohl nach unterschiedlichen Ländern differenziert als auch Kohorten bzw. Altersgruppen vergleichend ausgewertet werden.

Ausgewählte Ergebnisse

Die Einstellung zur Erwerbstätigkeit von Müttern hat sich im Zeitraum von 1988 bis 2012 in der deutschen Bevölkerung deutlich verändert. Während im Jahr 1988 34 % der Frauen in den alten Bundesländern voll und ganz zustimmten, dass eine berufstätige Mutter ein genauso herzliches und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern finden kann wie eine Mutter, die nicht berufstätig ist, waren im Jahr 2012 59,4 % der Frauen dieser Meinung. Bei der Einstellung zur Akzeptanz einer Erwerbstätigkeit von Müttern im Hinblick auf negative Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Mutter und Kind wird für Westdeutschland weiterhin deutlich, dass Frauen diesbezüglich eine positivere Einstellung aufweisen als Männer. Die Prozentwerte der vollen Zustimmung zu dieser Aussage sind zu allen vier Meßzeitpunkten für Frauen höher als für Männer (siehe Abbildung 1).

Abb Wandel-geschlechterrollen-1

Abbildung 1: Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern finden, wie eine Mutter, die nicht berufstätig ist – Westdeutschland
Quelle: ISSP 1988 (n=2830), 1994 (n=2238), 2002 (n =903), 2012 (n=1191) (eigene Berechnungen)

Ein Vergleich mit den Daten der Befragten aus den neuen Bundesländern zeigt, dass auch hier die Zustimmung der Frauen zu der Aussage: „Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern finden wie eine Mutter, die nicht berufstätig ist“ höher ist als die der Männer, und zwar ebenfalls über alle drei Meßzeitpunkte (1994, 2002, 2012). Gleichzeitig ist erkennbar, dass die Akzeptanz in den neuen Bundesländern ein deutlich höheres Niveau als in Westdeutschland aufweist. Bereits 1994 stimmten 68,4 % der Frauen aus den neuen Bundesländern dieser Aussage voll und ganz zu und 2012 waren es 83,6 % (siehe Abbildung 2).

Abb Wandel-geschlechterrollen-2

Abbildung 2: Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern finden, wie eine Mutter, die nicht berufstätig ist – Ostdeutschland
Quelle: ISSP 1994 (n=1073), 2002 (n=420), 2012 (n=554) (eigene Berechnungen)

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Projektinfo

Eigenprojekt, Förderung durch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration

Laufzeit: 1/2015 bis 12/2015

Projektteam: Dipl.-Soz. Harald Rost (Projektleitung), Dr. Kurt Bierschock