Berufliche Mobilität und Lebensform

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung soll erstmals der Frage nachgegangen werden, wie kinderlose Paare oder Elternpaare mit Mobilitätserfordernissen umgehen und welche konkreten Lösungen sie im Hinblick auf die Wahl und die Ausgestaltung ihrer Lebensform entwickeln. Dabei interessiert uns auch die Bewertung der bestehenden Lebensform sowie die weiteren Pläne zur Gestaltung der Berufs-, Partnerschafts- und Familienbiographie. Ferner soll untersucht werden, inwieweit die Wahl und die subjektive Bewertung der Lebensform von Merkmalen der Partner (z.B. soziodemographische Merkmale) und der Partnerschaft (z.B. Merkmale der Binnenstruktur) beeinflußt wird. Eine weitere generelle Zielsetzung ist es, die Lebensform und Lebenssituation von Paaren mit und ohne Kinder, die sich mobil zeigen mit solchen Paaren mit und ohne Kinder zu vergleichen, die sich im Verlauf ihrer Partnerschaftsbiographie bisher nicht mobil zeigten. Die Immobilität der Vergleichsgruppe kann zwei verschiedene Gründe haben: Es kann sich um Paare handeln, die sich bestehenden Mobilitätserfordernissen verweigern oder um Paare, die bislang noch nicht mit der Frage beruflicher Mobilität konfrontiert worden sind.

Gegenstand der Untersuchung

Eine immer größer werdende Zahl von Paaren bzw. Familien stellt ihre Lebensform auf berufliche Mobilitätserfordernisse ab. Dies belegen u.a. die Statistiken der Pendlerbewegungen und Daten des DJI-Familiensurveys. Die Entwicklung ist vor dem Hintergrund eines allgemeinen gesellschaftlichen Wandels zu sehen: Die Umstrukturierung des Arbeitsmarktes und die gestiegene Berufsqualifizierung von Frauen erhöhen den Mobilitätsdruck, während die Pluralisierung der Lebensführung Optionen für die individuelle "mobile" Ausgestaltung der Lebensform eröffnet. Berufliche Mobilität ist nicht mehr auf bestimmte Berufsgruppen oder die Chefetage beschränkt. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß, weitgehend unabhängig vom erlernten Beruf, die Zahl derer weiter wachsen wird, die sich aufgrund der eigenen Berufstätigkeit oder der des Partners mit Mobilitätserfordernissen konfrontiert sieht.

Unsere zentrale Annahme ist, daß der Umgang mit Mobilitätserfordernissen sowie die Wahl und die Ausgestaltung partnerschaftlicher oder familialer Lebensformen in einem engen Interdependenzverhältnis stehen: Wird den Mobilitätserfordernissen Rechnung getragen, wirkt sich dies auf die Ausgestaltung der Lebensform aus. Umgekehrt beeinflußt die bestehende Lebensform die Reaktion auf Mobilitätserfordernisse. Werden kinderlose Paare oder Elternpaare mit beruflichen Mobilitätserfordernissen konfrontiert, sind zunächst zwei grundlegende Reaktionsformen zu unterscheiden: Das Paar stellt sich auf die Anforderungen ein und zeigt sich mobil ("mobile Paare"). Die zweite Reaktionsform besteht darin, daß Mobilität um den Preis bestimmter Restriktionen wie z.B. Arbeitslosigkeit oder Verzicht auf beruflichen Aufstieg verweigert wird ("immobile Paare"). Stellen sich Paare auf Mobilitätserfordernisse ein, kann dies auf unterschiedliche Art und Weise geschehen. Anhand der Ausgestaltung der Haushaltsorganisation und Haushaltsentwicklung sowie der konkreten Form der Mobilität, sind nach unseren Vorüberlegungen folgende Lösungsmodelle im Umgang mit Mobilitätserfordernissen zu unterscheiden:

  • Umzugserfahrene Paare bzw. Familien
    Hier handelt es sich um Paare, die am gemeinsamen Haushalt festhalten und bei beruflichen Mobilitätserfordernissen mit einer entsprechenden Verlagerung des Haushalts reagieren.
  • Fernpendler
    Unter Mobilitätsdruck werden lange Anfahrtswege zur Arbeit in Kauf genommen, um den gemeinsamen Wohnort des Paares oder der Familie zu erhalten. Das Pendeln erfolgt in aller Regel täglich.
  • Paare bzw. Familien mit variierenden Mobilitätsanforderungen
    Hierunter verstehen wir Paare mit oder ohne Kinder, bei denen zumindest einer der beiden Partner an wechselnden Orten beruflich tätig ist und in dieser Zeit in Hotels, Gemeinschaftsunterkünften etc. untergebracht ist. Neben dem Arbeitsort kann auch der zeitliche Umfang der beruflich bedingten Abwesenheit vom gemeinsamen Haushalt variieren. Ein gemeinsamer Umzug oder die Gründung eines Zweithaushaltes scheidet aufgrund der wechselnden Mobilitätsanforderungen bei diesen Paaren als Lösungsmöglichkeit in aller Regel aus. Variierende Mobilitätserfordernisse sind häufig ein charakteristisches Merkmal bestimmter Berufsgruppen (z.B. Vertreter, Pilot oder Manager). D.h. bereits bei der Wahl des Berufs ist man sich über die Konsequenzen für die Lebensführung im klaren. Daneben kann diese Form der Mobilität auch relativ unvorhersehbar entstanden sein, weil sich beispielsweise der berufliche Schwerpunkt verlagerte oder weil man sich zu einem Berufswechsel gezwungen sah.
  • Shuttle-Partnerschaften
    Angesichts bestehender Mobilitätserfordernisse entscheiden sich diese Paare dafür, einen Zweithaushalt zu gründen, der arbeitsbezogen genutzt wird. An den Wochenenden oder in anderen zeitlichen Phasen teilen die Partner den gemeinsamen "Haupthaushalt". Für die Gründung einer Shuttle-Partnerschaft können verschiedene Motive ausschlaggebend sein. Beispielsweise können Wohneigentum oder soziale Beziehungen an den gemeinsamen Wohnort binden. Die Lebensform kann aber auch vor dem Hintergrund einer ausgeprägten Karriereorientierung beider Partner entstehen. In diesem speziellen Fall sprechen wir von einem dual-career-shuttle.
  • Partnerschaft ohne gemeinsamen Haushalt
    Bei diesen Paaren mit und ohne Kinder verfügt jeder der Partner über einen eigenständigen Haushalt - einen gemeinsamen "Haupthaushalt" gibt es nicht. Die Lebensform entsteht entweder dadurch, daß die getrennte Haushaltsführung über die Anfangsphase der Beziehung hinaus aufrecht erhalten wird oder dadurch, daß ein bestehender gemeinsamer Haushalt aufgelöst und zwei eigenständige Haushalte gegründet werden. Für diese Lebensform sind häufig nicht allein berufliche Mobilitätserfordernisse ausschlaggebend. Der Verzicht auf einen gemeinsamen Haushalt kann hier auch Teil des Beziehungsideals sein. Die Lebensform kann in diesem Fall als living-apart-together bezeichnet werden.

Mit unserer Studie versuchen wir makro- und mikrotheoretische Perspektiven zu verbinden. Die Möglichkeiten und Erfordernisse bei der Verknüpfung von Berufs-, Partnerschaft- und Familienbiographie werden auf der Makroebene aus einem individualisierungstheoretischen Rahmen abgeleitet. Mikrosoziologisch sollen die Lebensformen und die Gründe ihrer Entstehung und Aufrechterhaltung unter Bezugnahme auf entscheidungstheoretische Konzepte erklärt werden, wobei bei einigen Fragestellungen auch Ansätze der Streßforschung einbezogen werden sollen.

Vor dem Hintergrund unseres Erkenntnisinteresses leiten sich folgende konkrete Zielsetzungen ab:

  • Durch welche äußeren Strukturmerkmale zeichnen sich auf Mobilität abgestellte partnerschaftliche bzw. familiale Lebensformen aus?
    Es werden Informationen zur Mobilitätsform (u.a. Haushaltsentwicklung, Haushaltsorga-nisation, Merkmale des Pendelns), zu strukturellen Merkmalen der Partnerschaft bzw. der Familie sowie zu individuellen Merkmalen erhoben. Auf dieser Grundlage wird beschrieben, welche Paare auf welche Art und Weise ihre Lebensform auf Mobilitätserfordernisse abstellen. Durch welche äußeren Strukturmerkmale zeichnen sich auf Mobilität abgestellte partnerschaftliche Lebensformen aus?
  • Welche konkreten Gründe geben den Ausschlag, eine partnerschaftliche bzw. familiale Lebensform auf Mobilitätserfordernisse abzustellen?
    Individuelle Motive und äußere Erfordernisse, die bei der Entscheidung für eine "mobile" partnerschaftliche Lebensform eine Rolle spielen, sollen differenziert beschrieben werden. Dabei geht es auch um die Frage, inwieweit die konkrete Lebensform als frei gewählt oder als ein von unbeeinflußbaren Bedingungen erzwungenes Arrangement erlebt wird.
  • Welchen Stellenwert haben mobile partnerschaftliche Lebensformen in der Partnerschaftsbiographie?
    Es soll erhoben werden, wie mobile Lebensformen in die längerfristige Konzeption der Partnerschafts- und Berufsbiographie eingebettet sind. Inwieweit werden mobile Partner-schaften als zeitlich befristete Phase oder als langfristige oder dauerhafte Lebensform konzipiert? An welche beruflichen, partnerschaftlichen oder familialen Ereignisse wird eine Veränderung der Lebensform geknüpft?
  • Welche spezifischen Gestaltungsaufgaben und welche spezifischen Vor- und Nachteile werden mit "mobilen" Lebensformen verbunden?
    Es soll untersucht werden, welche spezifischen Anforderungen die Partner bei der Ausgestaltung ihrer Lebensform wahrnehmen und welche individuellen Lösungen sie im Umgang mit diesen Anforderungen entwickeln. Ferner soll die subjektive Bewertung der eigenen Lebensform erhoben und der Frage nachgegangen werden, unter welchen Bedingungen die Lebensform als vorteilhaft bzw. nachteilig bewertet wird.
  • Welche Unterschiede bestehen zwischen mobilen Paaren bzw. Familien und solchen Paaren bzw. Familien, die sich nicht mobil zeigen?
    Es wird untersucht, welche Unterschiede auf der Ebene individueller, partnerschaftlicher und familialer Merkmale sowie auf der Ebene externer Bedingungen und Anforderungen zwischen mobilen Paaren und Paaren, die sich bislang nicht mobil zeigten, bestehen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich die letztgenannte Gruppe aus zwei Teilgruppen zusammensetzt: Zum einen Paare mit und ohne Kinder, die mit Mobilitätsanforderungen konfrontiert wurden und sich diesen Anforderungen bislang widersetzten und zum anderen solche Paare mit und ohne Kinder, denen sich die Frage beruflicher Mobilität noch nicht gestellt hat.

Bei der auf einer umfassenden Literaturanalyse beruhenden methodischen Umsetzung der Studie wurde ein Methodenmix aus drei aufeinander aufbauenden Verfahren gewählt:

  • Datenanalyse
    Mit der Analyse vorliegender Massendaten sollen Hinweise zur Verbreitung und zu den Merkmalen mobiler partnerschaftlicher und familialer Lebensformen zusammengestellt werden.
  • Telefonbefragung
    Von den fünf oben skizzierten Formen "mobiler" Partnerschaften sollen jeweils ca. 65 Paare mit und ohne Kinder telefonisch befragt werden (vollstandardisierte Erhebung). Ferner werden 70 "immobile" Paare befragt. Diese Vergleichsgruppe setzt sich aus kinderlosen Paaren und Elternpaaren zusammen, die sich bislang bestehenden Mobilitätserfordernissen verweigert haben und solchen Paaren bzw. Familien, an die bisher keine derartigen Erfordernisse herangetragen wurden.
  • Qualitative Befragung
    Von den bereits per Telefon befragten Untersuchungsteilnehmer-Innen werden aus jeder der fünf Gruppen mobiler Lebensformen ca. 25 Paare mit und ohne Kinder qualitativ befragt. Aus der Vergleichsgruppe werden 30 Paare mit und ohne Kinder interviewt. Im Rahmen des Interviews werden die Themen der Telefonbefragung vertieft und erweitert.nach oben
Projektinfo

Verbundprojekt des Staatsinstituts für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb) und von Prof. Dr. Norbert F. Schneider, Uni Mainz, gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit.

Laufzeit: 1.9.1998 bis 31.8.2000

Projektleitung: Prof. Dr. Norbert F. Schneider (Uni Mainz)

Projektbearbeitung: Dipl.-Soz. Kerstin Hartmann (Uni Mainz); Dr. Ruth Limmer; Dr. Sigrid Lorenz

Veröffentlichungen

Schneider N.F./Rosenkranz D./Limmer R. (1998): Nichtkonventionelle Lebensformen. Entstehung - Entwicklung - Konsequenzen. Kap. 2: Partnerschaften mit getrennten Haushalten. Opladen: Leske + Budrich, S. 47-66.

Norbert F. Schneider/Kerstin Hartmann/Ruth Limmer: Berufsmobilität und Lebensform. Sind berufliche Mobilitätserfordernisse in Zeiten der Globalisierung noch mit Familie vereinbar? Bamberg: Staatsinstitut für Familienforschung, ifb-Materialien 8-2001.