Analysen zu Mindestsicherungsleistungen nach SGB II und Armutsgefährdung
Auf Basis aktueller Daten für Deutschland soll eine systematische Gegenüberstellung des Bezugs von Mindestsicherungsleistungen mit Armutsgefährdungsschwellen und den angegebenen Gesamteinkommen erfolgen, um Unterschiede und ggf. Widersprüchlichkeiten quantifizieren und beschreiben zu können, und zwar vorrangig für Haushalte von Familien in Bayern.
Gegenstand der Untersuchung
In der Sozialberichterstattung kommt sowohl den Armutsgefährdungsquoten als auch dem Bezug von Leistungen der Mindestsicherung große Bedeutung zu. Als Grund- oder Mindestsicherung werden bedarfsorientierte und bedürftigkeitsgeprüfte Sozialleistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes bezeichnet. Für erwerbsfähige Hilfebedürftige existieren das im SGB II geregelte Arbeitslosengeld II (Alg II) und dazugehörend das Sozialgeld für nichterwerbstätige Kinder und Partner. Umgangssprachlich werden das Alg II und das Sozialgeld als „Hartz IV“ bezeichnet.
Die Armutsgefährdungsquote gibt den Anteil der Personen mit einem Äquivalenzeinkommen von weniger als 60 % des medianen Äquivalenzeinkommens an. Das mediane Äquivalenzeinkommen ist der Wert, der die Reihung aller Personen nach der Höhe ihres Äquivalenzeinkommens in der Mitte teilt, d. h. 50 % aller Personen der Gesamtbevölkerung haben ein Äquivalenzeinkommen, das unter diesem Wert liegt, und die andere Hälfte hat ein Einkommen, das diesen Wert übersteigt. Dass die Armutsgefährdungsschwelle bei 60 % des Medianeinkommens angesetzt wurde, hat historische Gründe: Bei Festlegung im Jahr 2001 entsprach dieser Wert in vielen europäischen Ländern dem Grundsicherungsniveau.
Eine Vergleichsberechnung von Armutsgefährdungsschwellen, die sich für einzelne Haushaltsformen aus dem Mikrozensus ergeben, und der jeweiligen Summe der SGB-II-Leistungen mit Daten aus dem Jahr 2009 ergab, dass damals für fast alle Haushaltszusammensetzungen das Leistungsniveau der Mindestsicherung unter den Armutsgefährdungsschwellen lag. Für den überwiegenden Teil der einkommensschwachen Haushalte war die Armutsgefährdungsquote insgesamt deutlich höher als die Mindestsicherungsquote. Einzige Ausnahme bei den Berechnungen waren Alleinerziehende, bei denen sich in fast allen Konstellationen die Leistungen nach § 20ff. SGB II zu Beträgen summierten, welche die Armutsgefährdungsschwellen leicht überstiegen. Dies ist insofern beachtenswert, da Alleinerziehende sowohl überdurchschnittlich hohe Armutsgefährdungsquoten aufweisen als auch besonders häufig „Hartz IV“ beziehen.
Aufgrund der für das Jahr 2009 berechneten Diskrepanzen stellt sich die Frage, inwiefern unzuverlässige Einkommensangaben die Armutsgefährdungsquoten von Familienhaushalten überzeichnen. Erfassungsartefakte können im Mikrozensus generell daher rühren, dass beispielsweise das Nettoeinkommen klassiert erfragt wird. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass Grundsicherungsempfänger die Übernahme der Kosten der Unterkunft (bestehend aus Miete, Heiz- und Nebenkosten) bei ihren Einkommensangaben oftmals vergessen, da die Arbeitsagenturen die Unterkunftskosten zum Teil direkt mit den Vermietern abrechnen.
Weiterhin stellt sich die Frage, inwieweit die damaligen Ergebnisse noch auf die aktuelle finanzielle Situation verschiedener Familienformen zutreffen.
Methodisches Vorgehen
Im Rahmen des Projekts soll vor diesem Hintergrund im Jahr 2015 auf Basis aktueller Daten für Deutschland eine systematische Gegenüberstellung des Bezugs von Mindestsicherungsleistungen mit Armutsgefährdungsschwellen und den angegebenen Gesamteinkommen erfolgen, um Unterschiede und ggf. Widersprüchlichkeiten quantifizieren und beschreiben zu können, und zwar vorrangig für Haushalte von Familien in Bayern. Dabei sind im Wesentlichen die folgenden Arbeitsschritte vorgesehen:
- Beschreibung der generellen Problematiken der Einkommenserfassung im Mikrozensus und im SOEP
- Berechnung der Äquivalenzeinkommen, Armutsgefährdungsschwellen, Armutsgefährdungsquoten und des Anteils von Mindestsicherungsbeziehern im aktuellsten verfügbaren Mikrozensus und in der neuesten SOEP-Welle nach Haushaltskonstellationen; außerdem Ermittlung des haushaltsspezifischen, fiktiven Leistungssatzes zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II für alle Haushalte in den verwendeten Datensätzen
- Ermittlung von Widersprüchlichkeiten und Auffälligkeiten, wie zum Beispiel:
a) Haushalte, die angeben Mindestsicherungsleistungen zu beziehen, jedoch ein Gesamteinkommen nennen, das unter den entsprechenden Leistungssätzen liegt,
b) Haushalte, die keine Hartz IV-Leistungen beziehen, obwohl sie ein Gesamteinkommen unterhalb ihres fiktiven Leistungssatzes angeben
Im Fokus der Analysen steht somit ein Datenabgleich der aufgezeigten Parameter für armutsgefährdete Haushalte. Falls Unterschiede und ggf. Widersprüchlichkeiten auftreten, soll zum einen untersucht werden, welche Anteile von ihnen einen Anspruch auf Leistungen nach SGB II hätten, ohne diesen geltend zu machen. Zum anderen ließe sich ermitteln, inwieweit die auf Basis der Einkommensangaben im Mikrozensus und im SOEP ermittelten Armutsgefährdungsquoten bei Beziehern von Mindestsicherungen jeweils die tatsächliche Einkommensproblematik überzeichnen.
Das geplante Projekt will primär einen methodischen Beitrag zum Thema Einkommenserfassung bei Niedrigeinkommenshaushalten leisten, wobei zugleich sozialpolitisch relevante Themen angesprochen sind.
Ausgewählte Ergebnisse
Das durchschnittliche Äquivalenzeinkommen bayerischer Haushalte ist im Zeitraum vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2013 kontinuierlich angestiegen und betrug im Jahr 2013 1.720 Euro. Jeweils deutlich oberhalb des Gesamtmittelwertes stieg das Äquivalenzeinkommen von Paaren ohne Kinder parallel dazu an und lag im Jahr 2013 bei 1.927 Euro. Paare mit Kindern weisen dagegen in diesem Zeitverlauf Einkommenswerte auf, die bis auf den Wert für 2013 unter dem Durchschnitt liegen (siehe Abbildung).