Aufwachsen mit einem Geschwister mit einer Behinderung – Lebensverläufe und Wohlbefinden im jungen Erwachsenenalter

Termin

15.07.2025, 10:00 – 11:30 Uhr, in Präsenz, Online-Teilnahme möglich

Referentin

Dr. Lara Bister (WZ Berlin)

Zusammenfassung

Behinderung im Kindesalter kann tiefgreifende Auswirkungen auf die Familiendynamik und das Funktionieren des gesamten Familiensystems haben – bedingt durch den erhöhten Pflegebedarf des betroffenen Kindes und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Barrieren, denen alle Familienmitglieder ausgesetzt sind. Geschwister von Kindern mit einer Behinderung tragen dabei häufig eine besondere Last. Folgend den theoretischen Konzepten der „Glaskinder“ und der „Parentifizierung“ erhalten diese Geschwister oftmals weniger familiäre Ressourcen und elterliche Aufmerksamkeit und übernehmen gleichzeitig schon im frühen Alter mehr pflegerische und emotionale Verantwortung. Solche frühkindlichen Erfahrungen können die sozio-emotionale und psychologische Entwicklung dieser Geschwister beeinflussen und—der Theory of Accumulative (Dis)Advantage zufolge—womöglich deren langfristige Bildungs-, demografische, ökonomische sowie gesundheitliche Lebensverläufe beeinflussen. Die bisherige Forschung zu den Lebensverläufen von Geschwistern von Kindern mit Behinderung ist jedoch fragmentiert, stützt sich häufig auf kleine, nicht-repräsentative Stichproben oder qualitative Ansätze zur theoriebildenden Untersuchung, was die Generalisierbarkeit der Ergebnisse einschränkt. Um diese Forschungslücke zu schließen, führen wir derzeit mehrere Studien mit dem Fokus auf Familien mit Kindern mit Behinderung in Finnland im Zeitraum von 1987 bis 2018 durch, basierend auf umfassenden Daten aus den finnischen Bevölkerungsregistern. Unsere Analysen beruhen auf einer nicht-selektiven Kohorte von 128 606 in Finnland zwischen 1987 und 1999 geborenen Individuen mit jüngeren Geschwistern. Unter der Verwendung von Matchingverfahren und verschiedenen Längsschnittanalysemethoden analysieren wir wie sich Individuen, die mit einem Geschwister mit einer Behinderung in verschiedenen Übergängen im Lebensverlauf von der Jugend bis ins frühe Erwachsenenalter, darunter der Auszug aus dem Elternhaus, Bildungswege, Familiengründung und Fertilität sowie psychischer Gesundheit im jungen Erwachsenenalter von Individuen ohne Geschwister mit einer Behinderung unterscheiden. Diese neuen Erkenntnisse zu den langfristigen—sowohl positiven als auch negativen—Folgen des Aufwachsens mit einem Geschwisterkind mit Behinderung trage ich in meinem Vortrag zusammen. Die Ergebnisse deuten auf frühere demografische Übergänge, höhere Bildungsabschlüsse, aber auch ein erhöhtes Risiko für psychische Belastungen hin – insbesondere bei Frauen. Mit dieser ersten umfassenden Evidenz leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der weitreichenden und langfristigen Auswirkungen von Kinderbehinderung und betonen die Bedeutung, auch die Erfahrungen von Geschwistern in betroffenen Familien anzuerkennen.

Vortragssprache

Deutsch

Wenn Sie am Kolloquium teilnehmen möchten, schicken Sie bitte bis spätestens einen Tag vor dem betreffenden Kolloquium (10:00 Uhr) eine entsprechende E-Mail an sekretariat@ifb.uni-bamberg.de.